Geschichte

Rupert Neudeck

„Ich möchte nie mehr feige sein. Cap Anamur ist das schönste Ergebnis des deutschen Verlangens, niemals wieder feige, sondern immer mutig zu sein.“

Rupert Neudeck beim 30. Jubiläum von Cap Anamur

Kindheit und Flucht

Rupert Neudeck wird 1939 in Danzig geboren. In eisiger Kälte flieht seine Mutter am 30. Januar 1945 mit ihm und seinen Geschwistern aus der Heimat. „Warum seid ihr nicht zwei Stunden früher gekommen, ich hatte noch Karten für das Schiff!“, hatte ein Bekannter seiner Mutter zugerufen. Bei ‚dem Schiff‘ handelte es sich um die Wilhelm Gustloff, die wenig später torpediert wurde und tragischerweise mit mehr als 9.000 Menschen an Bord versank. In diesem Ereignis sieht Rupert Neudeck Jahre später einen weiteren Grund, die vietnamesischen Geflüchteten im Südchinesischen Meer zu retten.

Besagte Flucht jedenfalls, sollte seiner Familie an diesem Tag nicht gelingen. Seine Mutter kehrt mit ihm nach Danzig zurück, wo die Familie die letzten Wochen des Krieges verbringt. Im Juli 1945 folgt der nächste Fluchtversuch. Vorwiegend zu Fuß, in seltenen Fällen mit Bus und Bahn, macht sich die Mutter mit ihren vier Kindern auf den Weg in den Westen. „Tod, Hunger, Zerstörung und Angst waren die Bilder, die unsere frühe Kindheit prägten“, erinnert sich Rupert Neudeck später. Die Familie schafft es schließlich bis nach Hagen, wo sie sogar ihren Vater wieder treffen. Nach Wochen in der Sammelunterkunft wird ihnen eine nach dem Krieg leerstehende Wohnung zugewiesen.

Studium und journalistische Karriere

Nach dem Abitur studiert Rupert Neudeck Philosophie, Germanistik, Soziologie und Katholische Theologie, erst in Bonn und später in Paderborn. 1961 bricht er das Studium ab und tritt dem Jesuitenorden bei. Nach dem Austritt aus dem Orden nimmt er die Studien wieder auf und schließt 1970 sein Studium ab. 1972 wird er an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit der Arbeit „Politische Ethik bei Jean-Paul Sartre und Albert Camus“ zum Doktor der Philosophie promoviert. In den Jahren 1969 bis 1971 ist er als studentischer Redakteur beim Semesterspiegel tätig. 1971 beginnt Neudeck als hauptberuflicher Journalist bei der katholischen Funk-Korrespondenz in Köln, 1976 wechselt er dann in den freien Journalismus. 1977 wird er Redakteur beim Deutschlandfunk.

Rupert Neudeck

Rettung der „Boat People“

Mit dem Sieg des kommunistischen Nordvietnams endete am 30. April 1975 der Vietnamkrieg. Das harte Vorgehen des kommunistischen Regimes löst bald eine Geflüchtetenwelle aus. Viele sehen ihre einzige Chance auf ein besseres und sicheres Leben in der Flucht über das Südchinesische Meer, doch der Seeweg birgt viele Gefahren: Unwetter, zu kleine und altersschwache Boote und Piratenangriffe kosten tausende vietnamesische Geflüchtete das Leben. Als Rupert Neudeck von der Not der Menschen hört, will er nicht tatenlos zusehen. Zusammen mit seiner Frau Christel Neudeck und dem Schriftsteller und späteren Nobelpreisträger Heinrich Böll chartert Rupert Neudeck ein Schiff und gründet das Komitee „Ein Schiff für Vietnam“. 1982 wird die Organisation in Cap Anamur / Deutsche Not-Ärzte e. V. umbenannt. Namensgeber ist der Frachter Cap Anamur, mit dem die Besatzung um Rupert Neudeck insgesamt 10.375 vietnamesische Geflüchtete, die sogenannten „Boat People“, aufnahm und nach Deutschland brachte. Weitere rund 35.000 Menschen wurden an Bord medizinisch versorgt. Die Seenotrettung von flüchtenden Menschen ist damals wie heute ein aktuelles Thema. Auch politisch setzte sich Neudeck unermüdlich dafür ein, die Geretteten nach Deutschland zu bringen, was ihm viel Zuspruch und Anerkennung, aber auch viel Kritik einbrachte.

Die Cap Anamur Einsätze an Land

Die Rettung der Geflüchteten aus dem Südchinesischen Meer ist jedoch erst der Anfang. Cap Anamur beginnt sich weltweit in Hilfsprojekten zu betätigen, und vor allem auch dort zu helfen, wo das Interesse der Medien längst erloschen ist. Dabei stehen die medizinische Versorgung, die Ausbildung von lokalen Fachkräften und der Bau und die Instandsetzung von medizinischen Einrichtungen und Schulen von Anfang an im Vordergrund.
Bis 1998 gehört Rupert Neudeck dem Vorstand des Vereins an, danach bleibt er Sprecher der Hilfsorganisation. Erst im Jahr 2003 gibt er die Führung des Vereins völlig aus der Hand, bleibt diesem aber bis zu seinem Tod treu verbunden.

Der Journalist Franz Alt schreibt im Spiegel über Rupert: Die Neudecks waren eine glückliche Familie. Nur die Atmosphäre und die Einbettung in diese Familie erlaubten Rupert Neudeck sein radikal humanistisches Leben mit Haut und Haaren, mit Herz und Verstand.

Rupert Neudeck stirbt am 31. Mai 2016 im Alter von 77 Jahren an den Folgen einer Herzoperation.