7. Dezember 2021 Afghanistan, Projektberichte

Den Frauen und Mädchen steht eine finstere Zukunft bevor

Seit 2001 ist Cap Anamur in Afghanistan tätig – Projektkoordinator Faisal Haidari berichtet aktuell von unseren Projekten vor Ort, die wir immer noch durchführen.

Bereits seit Mitte August 2021 haben sich die Machtverhältnisse in Afghanistan geändert – die Taliban haben die Macht übernommen. Nach vier Monaten können wir eine erste Bilanz ziehen, wie die neue politische Situation sich auf unsere aktuellen Projekte auswirkt.

Projektleiter Faisal Haidari berichtet über die aktuelle Situation der Cap Anamur Projekte in Afghanistan

„Das Positive ist“, berichtet Faisal, „wir führen unsere Arbeit in Herat weiter“. Wie sich die Situation darüber hinaus für die Menschen und besonders für die Frauen und Mädchen verändert hat, fasst er hier zusammen:

Die Arbeit geht weiter – unter wesentlich schwereren und unsicheren Bedingungen und wir sind besorgt über die Zukunft des Landes.

Die Dialysestation und den Ausbildungskurs für junge Frauen führen wir mit Einschränkungen weiter. Eine gravierende Veränderung müssen wir besonders in unserem Nachhilfe-Projekt für einkommensschwache Jungen und Mädchen verzeichnen. Aktuell dürfen Mädchen nur bis zur 6. Klasse, also bis zum Alter von 12 Jahren die öffentlichen Schulen besuchen. Auch unser Nachhilfe-Kurs hat trotz größten Bemühungen nur die Erlaubnis Jungen zu unterrichten. Für die Mädchen, die sich für dieses und nächstes Jahr auf die Universitäts-Zulassungsprüfung innerhalb unseres Kurses vorbereitet hatten, ist eine Teilnahme nicht mehr möglich.

Die Mädchen und Frauen sind vermehrt wieder von der Bildung ausgeschlossen

Für die Schülerinnen bedeutet es: Kein Schulbesuch mehr, keine Aussicht studieren zu können. Viele Ausbildungsberufe sind für Frauen nicht mehr erlaubt, damit ist ihr Weg zu finanzieller Unabhängigkeit staatlich verbaut.

Eine unserer längsten Mitarbeiterinnen im Nachhilfeprojekt- Frau A. – ist seit Jahrzehnten als Lehrerin und Direktorin an einer staatlichen Mädchenschule. Seit wir unser Nachhilfeprojekt begonnen haben, koordinierte sie die Unterrichtsstunden der Lehrer:innen und die Aufnahmeformalitäten der Schüler:innen.

Sie berichtet, dass viele Mädchen in der Nachhilfe-Schule angerufen haben, um zu fragen, ob sie nicht wieder zur Schule kommen könnten. Doch dies ist nun nicht mehr möglich. „In den letzten zwei Jahren haben wir so vielen Mädchen geholfen die Prüfungshürde zum Studium zu schaffen, sie waren so glücklich und dankbar, manche haben so gut abgeschnitten, dass sie z.B. Jura studieren durften und jetzt plötzlich ist dieser Beruf für Mädchen und Frauen verboten“, erklärt Frau A.

Den Frauen und Mädchen steht eine finstere Zukunft bevor

Als die Taliban vor zwanzig Jahren über das Land kamen, habe Frau A. ihre Töchter, noch blutjung, schnell verheiratet, um zu verhindern, dass sie zu einer Heirat mit einem Talib gezwungen würden. Auch jetzt haben viele Familien Angst, dass die Taliban Anspruch auf ledige Mädchen und Witwen erheben.
Auch Frau A. hat, zusammen mit ihrem Mann ihre Heimat für immer verlassen, sie bekamen Schutz in Deutschland: „Ich hätte mir nie vorstellen können, in meinem Alter Afghanistan zu verlassen. Wir hatten uns sogar einen Grabplatz gekauft in Herat, hier sind wir geboren worden und hier wollten wir auch beerdigt werden. Die Taliban haben alle meine Hoffnungen auf eine bessere Zukunft Afghanistans zerstört. Es tut mir im Herzen weh, wenn ich an all die klugen, fleißigen und lebensfrohen Mädchen denke, vor denen nun finstere Zeiten liegen.“
Unser Projektkoordinator Faisal Haidari betreut die Arbeit von Cap Anamur seit 2001, als die ersten Mädchenschulen aufgebaut wurden. „Ich denke oft an die Zeit vor 20 Jahren zurück, als wir unseren Beitrag am Wiederaufbau eines geschundenen Landes geleistet haben. Ich bin geschockt und tieftraurig über diesen aktuellen Rückschritt für die afghanische Zivilbevölkerung, insbesondere für den weiblichen Teil. Ich denke mit Wehmut an die kleinen Mädchen zurück, die mit ihren von Wind und Wetter und Arbeit rauen, rissigen Händen voller Stolz und mit strahlenden Gesichtern auf dem Weg in ihre Dorfschulen, ihre Schultaschen umklammert hielten.“