Sexualisierte Gewalt in der ZAR – ein strukturelles Problem mit dramatischen Folgen
Tief verwurzelte Machtstrukturen und mangelnde staatliche Unterstützung verschärfen die Lage für Betroffene sexualisierter Gewalt. Diese bleibt in der Zentralafrikanischen Republik meist folgenlos – nicht zuletzt wegen fehlender Versorgung und Tabuisierung.
In der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) gehört sexualisierte Gewalt zu den am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen – und bleibt mangels staatlicher Strukturen meist folgenlos. Jahrzehntelange politische Instabilität, bewaffnete Konflikte und tief verwurzelte patriarchale Machtstrukturen haben ein gesellschaftliches Klima geschaffen, in dem sexualisierte Gewalt nicht nur alltäglich ist, sondern kaum geahndet wird.
Laut einem Bericht der Vereinten Nationen haben bis zu 70 % der Frauen und Mädchen in bestimmten Regionen des Landes sexualisierte Gewalt erlebt – darunter Vergewaltigungen, Zwangsehen oder Ausbeutung durch bewaffnete Gruppen. Die Täter bleiben fast immer straffrei. Gleichzeitig fehlen Schutzräume, medizinische Versorgung und psychologische Unterstützung für die Betroffenen nahezu vollständig. Auch im zivilen Alltag sind Mädchen und Frauen massiven Risiken ausgesetzt – etwa durch Frühverheiratung, mangelnde Aufklärung und wirtschaftliche Abhängigkeit.
Diese tiefgreifende strukturelle Krise zeigt sich auch in den Gesundheitseinrichtungen – so etwa im Krankenhaus von Bossembélé, das Cap Anamur seit Jahren unterstützt.
Im Krankenhaus von Bossembélé – medizinische Arbeit an der Belastungsgrenze
Bossembélé ist eine Kleinstadt rund 160 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Bangui. In dem dortigen Krankenhaus arbeiten einheimische und entsandte Fachkräfte Seite an Seite – unter einfachen Bedingungen, aber mit großer Wirkung. Auch Dr. Friederike H., Ärztin aus Deutschland, war dort im Einsatz. Sie berichtet von zahlreichen medizinischen Herausforderungen – von Malaria über Tuberkulose bis zu Masern. Doch ein Thema war besonders auffällig: die gesundheitlichen Folgen fehlender sexueller Aufklärung und struktureller Gewalt – insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen.
Frühe Schwangerschaften, gefährliche Abbrüche, HIV-Infektionen
Immer wieder werden sehr junge Mädchen mit schweren Schwangerschaftskomplikationen in unser Krankenhaus eingeliefert – oft ungewollt schwanger, ohne jegliches Wissen über Verhütung, Sexualität oder ihre Rechte. Viele Geburten verlaufen unter prekären Bedingungen; nicht selten bleiben langfristige gesundheitliche Schäden für Mutter und Kind zurück.
Besonders alarmierend sind die Fälle selbst eingeleiteter Schwangerschaftsabbrüche. Aus Verzweiflung greifen die Mädchen zu gefährlichen Methoden – mit oft lebensbedrohlichen Folgen.
Ein weiteres drängendes Problem sind sexuell übertragbare Infektionen, insbesondere HIV. Die offiziellen Zahlen in der Zentralafrikanischen Republik sind hoch – die Dunkelziffer noch höher. In unserem Krankenhaus diagnostizieren wir wöchentlich mehrere neue Fälle. Gerade junge Frauen sind stark betroffen – viele können sich nicht schützen: sei es aus Unwissen, ökonomischer Abhängigkeit oder infolge sexualisierter Gewalt.
Früherkennung ist wichtig, denn HIV ist heute gut behandelbar. Doch die Versorgungssicherheit mit den notwendigen Medikamenten ist nicht gewährleistet. Umso wichtiger ist es, Infektionen von vornherein zu vermeiden – durch umfassende Aufklärung, den Zugang zu Schutzmitteln und die gezielte Stärkung junger Menschen.
Diese Fälle sind keine Einzelschicksale, sondern Ausdruck einer strukturellen Notlage: Sexualpädagogische Bildung fehlt fast vollständig – in Schulen, Familien und Gemeinden. Tabuisierung, patriarchale Strukturen und bittere Armut verschärfen die Situation zusätzlich.
Warum sexuelle Aufklärung Leben retten kann
Gezielte, frühzeitige Aufklärung kann Leben retten – so simpel ist die Wahrheit. Kinder und Jugendliche brauchen Wissen über ihren Körper, ihre Rechte und ihre Möglichkeiten, selbstbestimmt über Schwangerschaft, Partnerschaft und Verhütung zu entscheiden. Das gilt für Mädchen ebenso wie für Jungen – Aufklärung darf niemanden ausschließen. Nur wenn wir alle mitdenken, mitnehmen und befähigen, kann echte Veränderung entstehen.
Dazu gehört auch der sichere Zugang zu Verhütungsmitteln, medizinischer Betreuung und psychosozialer Unterstützung. Auch das Thema sexualisierte Gewalt muss offen angesprochen werden – nur so können Betroffene gehört, geschützt und versorgt werden. In Bossembélé sehen wir täglich, wie groß der Bedarf ist – und wie entscheidend medizinische Versorgung und begleitende Aufklärung in diesem Kontext sind.
Unsere Arbeit basiert auf Vertrauen und Respekt. Wir gehen behutsam vor, hören zu, begleiten – und mischen uns nicht in die Lebensentwürfe der jungen Menschen ein. Vielmehr möchten wir sie stärken, informierte Entscheidungen über ihren eigenen Körper und ihr Leben zu treffen. Es geht um Empowerment, nicht um Bevormundung.
Cap Anamur bleibt vor Ort – an der Seite der Menschen. Doch es braucht mehr: gesellschaftliches Bewusstsein, internationale Unterstützung und den politischen Willen, sexualisierte Gewalt nicht länger zu übersehen, sondern konsequent zu bekämpfen.