Binnenflucht – vertrieben im eigenen Land
Zum Weltflüchtlingstag wirft Cap Anamur ein Licht auf Binnenvertriebene - wenn Einheimische vor Krieg und Krise fliehen, aber das Land nicht verlassen können.
Die Vereinten Nationen rufen jedes Jahr am 20. Juni zum Weltflüchtlingstag auf und veröffentlichen aktuelle Zahlen, und das mit höchst besorgniserregenden Ergebnissen.
Bereits gegen Ende letzten Jahres wurden über 117 Millionen Menschen weltweit vertrieben – gegen ihren Willen und durch Gewalt. Dies ist ein erschreckender Rekord, der durch eine Vielzahl an Kriegen und Krisenherden verschuldet ist. Doch während viele dieser Flüchtenden Sicherheit in einem anderen Land suchen, endet die Mehrheit dieser Menschen als Binnenvertriebene oder -geflüchtete. Ganze 75,9 Millionen Binnenflüchtlinge – über 64% der Flüchtlinge weltweit – sind nicht in der Lage oder nicht willens, ihr eigenes Land trotz der drohenden Gefahren zu verlassen. Die häufigsten Gründe dafür sind ein Mangel an finanziellen Mitteln, gesundheitliche Beschwerden, die Reisen unmöglich machen, oder auch eine enge Verbundenheit zum eigenen Heim und der Heimat.
Was sind die Gefahren der Flucht?
Diese Binnengeflüchteten sind nicht nur in Gefahr durch den Konflikt, sondern auch durch eine Vielzahl an Mängeln durch knappe Nahrungsmittel, eine zerstörte Infrastruktur, unsauberes oder fehlendes Trinkwasser und ein fehlendes oder mangelhaftes Gesundheitssystem. Gerade die letzten beiden Faktoren führen im Zusammenhang mit dem sich verändernden Klima dazu, dass die leidende Bevölkerung zunehmend auf kontaminierte Wasserquellen zurückgreifen muss, was verstärkt zu Ausbrüchen von Cholera führt.
Was ist das Ziel von Cap Anamur?
Als internationale Hilfsorganisation ist Cap Anamur vor allem darauf fokussiert, diesen Vertriebenen im eigenen Land trotz der schwierigen Lebensbedingungen die wichtigste Grundversorgung zu bieten – sei es Nahrung, Trinkwasser, Kleidung, ein Dach über dem Kopf oder eine funktionierende Gesundheits-Infrastruktur. Diese sind für uns nicht nur Privilegien, sondern Rechte, die jedem Menschen zustehen.
Der nicht endende Bürgerkrieg im Sudan
Sudan ist der Schauplatz eines Bürgerkriegs der blutigsten Art. Seit über einem Jahr bekriegen sich die Regierungsarmee und Truppen der sogenannten Rapid Support Forces (RSF), aber auch eine Vielzahl weiterer Parteien und Splittergruppen. Die Konflikte begannen bereits 1983, mit zwischendurch einkehrenden Ruhepausen. Die Bevölkerung ist dadurch seit über 30 Jahren endlosem Leid ausgesetzt, denn auch sie wird immer wieder das Ziel von Angriffen, die hohe Opfer fordern. Derzeit befinden sich mehr als 10 Millionen Binnenflüchtlinge im Land, die vor den Kämpfen fliehen.
Für 700.000 davon sind die Nuba-Berge im Süden zu einer Art sicherer Hafen geworden, wo Cap Anamur seit 25 Jahren ein Krankenhaus betreibt. Insgesamt ist die lokale Bevölkerung dadurch auf 2,2 Millionen angestiegen. Der rapide Anstieg verschlimmert dabei die eh schon schwierige Lage der Lebensmittelversorgung noch weiter. Ganze 1 Million Menschen sind mittlerweile von akuter Hungersnot betroffen und die geographische Lage macht es zu einer logistischen Herausforderung, Lebensmittel-Lieferungen einzuführen.
In unserem Krankenhaus müssen unsere Entsandten und die lokalen Kräfte vermehrt Verletzte durch Bombardierung oder Beschuss und vor allem unterernährte Kinder behandeln. Der Menschenstrom scheint dabei nicht abzureißen. Da wir eine der letzten Hilfsorganisationen im Sudan sind, nachdem die meisten internationalen Helfer 2023 evakuiert wurden, ist unsere Verantwortung dadurch noch größer geworden. Durch den Kriegszustand und zerstörte Infrastruktur sind die Preise für fast alle essenziellen Dinge rapide gestiegen. Erst vor kurzem haben wir Hilfslieferungen im Wert von einer halben Million Euro in die Nuba-Berge gebracht, um vorerst eine mittelfristige Versorgung des Krankenhauses garantieren zu können. Die Vertriebenen leiden, wir werden bleiben (s. hierzu auch das Interview mit Geschäftsführer Bernd Göken im DLF).
Der Ukraine-Krieg fordert auch zivile Opfer
Seit Beginn des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine im Jahr 2022 ist Cap Anamur im Land aktiv, um die Grundversorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen. Dazu gehören auch die mittlerweile über 5 Millionen Binnenflüchtlinge, die vor allem aus derzeit besetzten Gebieten im Osten und Süden der Ukraine geflohen sind, sowie aus Orten in Nähe der Front. Doch auch außerhalb der direkten Front wird die Bevölkerung immer wieder dem Artillerie- und Raketenbeschuss zum Opfer, welche die Infrastruktur und Ballungszentren treffen wollen.
Cap Anamur hat gemeinsam mit lokalen Akteuren und Behörden ein Hilfsnetzwerk aufgebaut, um die dringendsten Bedürfnisse der Betroffenen zu analysieren und danach zu decken. Dabei unterstützen wir sowohl Kliniken mit dringend benötigten Medikamenten und Geräten als auch lokale Projekte für die Menschen vor Ort. Im Westen der Ukraine unterstützen wir in Novoselytia und Czernowitz Geflüchtetenunterkünfte mit dem Bau eines Social Rooms und einer Großküche. Wir schaffen damit Räume für gemeinsame Aktivitäten, denn die meisten Menschen haben sonst nur ein kleines Zimmer zur Verfügung. Für das Kinderheim in Ostytsya haben wir eine Lieferung dringend benötigter Medikamente und Verbrauchsgüter organisiert. Und im Osten des Landes haben wir nicht nur Krankenhäuser in Frontnähe mit lebenswichtigen Medikamenten und Ultraschallgeräten versorgt, sondern auch 2 Krankenwagen für ein Einsatzteam zur Versorgung von Schwerverletzten geliefert. Da ein Ende des Krieges nicht vorhersehbar ist, wird Cap Anamur auch weiterhin der Bevölkerung tatkräftig zur Seite stehen.
Im Libanon konkurrieren Asylsuchende mit Binnengeflüchteten
Bisher hat Cap Anamur im Libanon syrische Geflüchtete in der Region Sidon mit einer mobilen Klinik und einer Physiotherapie-Praxis versorgt. Diese sind vom Sozial- und Gesundheitssystem ausgeschlossen und müssen sich häufig als Tagelöhner ihre dürftigen Unterkünfte verdienen, ohne irgendeine Art von Absicherung. Eine schwierige Situation in einem Land, das schon seit langer Zeit von Armut und heftigen Wirtschaftsproblemen geplagt ist.
Jedoch kommt nun noch erschwerend hinzu, dass sich seit dem 7. Oktober der Israel-Gaza-Krieg auch auf den Süden des Libanons ausweitet. Es kommt mittlerweile täglich zu Beschuss zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah, die im Süden des Landes stark vertreten ist. Mehr als 80.000 Menschen, meist Frauen mit ihren Kindern, sind vor diesen Kämpfen geflohen. Viele finden Zuflucht bei ihren Familien. In der Region Sidon werden aber auch Sozialräume und Schulen für die Geflüchteten zu Notunterkünften umfunktioniert. Mit unserer mobilen Klinik tun wir unser Bestes, um auch diese Menschen medizinisch zu versorgen. Unsere Ärztin Dr. Abu Daesh und die Krankenschwester Hiba waren in den letzten Monaten häufig in diesen Notunterkünften. Unser Einsatz wird vom libanesischen Gesundheitsministerium koordiniert, damit die Versorgung der Binnengeflüchteten bedarfsgerecht abgedeckt wird.
Unsere Mitarbeitenden stehen hier vor einer großen Herausforderung, sowohl die syrischen als auch die Binnengeflüchteten adäquat zu versorgen. Die Sicherheitslage ist angespannt, die verfügbaren Mittel des Landes knapp. Syrerinnen und Syrer unterliegen mittlerweile weiteren Auflagen durch die Regierung, was ihre Lebensbedingungen weiter erhärtet, da sie in ihrer Bewegungsfreiheit für Arbeit und Arzttermine weiter eingeschränkt werden. Wir werden weiterhin alles tun, um der leidtragenden Bevölkerung eine bestmögliche medizinische Versorgung zu sichern.